Die reformpädagogische Gemeinschaftsschule Heinrich von Stephan am „Neuen Ufer 6“
Der Namensgeber unserer Schule – Heinrich von Stephan – (1831-1897), war als achtes Kind eines Schneiders und Gastwirts aus Stolp in Pommern geboren und wird zu Recht als der Begründer und Organisator der Reichspost angesehen. Nicht ohne Grund nannte man ihn den „Post-Bismarck“, allein schon wegen seiner recht autokratischen Arbeitsweise wie auch wegen seines stets guten Verhältnisses zu Bismarck. Jeder Postbeamte oder Angestellte wurde lange Zeit Stephans-Jünger genannt. Sein selbstherrliches Auftreten und sein stetes Betonen des Friedensgedankens machten ihm viele Feinde. Oft musste ihn Bismarck, dem er lange unmittelbar unterstand, gegenüber dem Kaiser und anderen Persönlichkeiten verteidigen. So erhielt er auch erst 1885 den erblichen Adel. Seine größte Leistung war 1878 das Zustandebringen des Weltpostvereins. Anfangs leitete Heinrich von Stephan das Generalpostamt als Teil des Reichskanzleramtes. 1880 wurde er dann Staatssekretär des selbständigen Reichspostamtes. Er starb 1897 und wurde unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof I in Berlin-Kreuzberg beigesetzt. Im Unterricht wird regelmäßig auf unseren Namensgeber und die damit verbundene Bedeutung für die Entwicklung des Postwesens eingegangen.
Der Beginn der Heinrich-von-Stephan-Oberschule in der Stephanstraße 27 in Moabit nach dem 2. Weltkrieg bis in die 1970-er Jahre
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Schule eine Knaben-und Mädchenschule ohne Namen. Sie befand sich zu jener Zeit am Stephan-Platz und wurde von 1892 bis 1894 erbaut. Das Gebäude war einer der letzten Bauten Blankensteins (Stadtbaurat für den Bereich Hochbau von 1872-96). Auffallend ist die sehr reich gestaltete Fassade mit farbigen Majolikareliefs über den Fenstern im zweiten Geschoss. Der Gebäudekomplex war einer der größten Schulbauten Berlins. Wie die meisten dieser Schulkomplexe beherbergte er mehrere Schulen: die 168. Knaben- und 182. Mädchen-Schule sowie die 189. Schule für katholische Knaben und Mädchen. Ebenfalls typisch für Berliner Schulbauten: Hinter der auf teurem Baugrund gelegenen und darum schmalen Fassade zur Straße hin gab es ein weitläufiges Areal in der Tiefe des Blockes rund um einen großen Schulhof. Der Schulkomplex zog sich hin bis zur Quitzowstraße. In dem hier gelegenen Bau befanden sich im Kellergeschoß die ersten Schulbrausebäder Berlins. Dieser Bauteil wurde im 2. Weltkrieg zerstört.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde aus den drei Schulen die Heinrich-von-Stephan-Oberschule (1. Oberschule Praktischen Zweiges 7. bis 9. Klasse) in Berlin NW 21, Stephanstraße 27). „Die Straßenfassade des Baues bestimmt auch heute – in Verbindung mit den noch erhaltenen Altbauten, dem gegenüberliegenden „Cafe Achteck“ und dem Grün der Büsche und Bäume um den kleinen Spielplatz – die Atmosphäre dieses Platzes.“
Quelle: Text und Bilder aus Berlin: Von der Residenzstadt zur Industriemetropole, Kompaß, S. 71ff
1950 erhielt die Heinrich-von-Stephan-Oberschule dann ihren Namen und wurde als Hauptschule geführt.
Nach einer langen Zeit als reine Hauptschule begann das Kollegium Anfang der 1990er Jahre ein Konzept für eine integrierte Haupt- und Realschule zu entwickeln. Das Kollegium fuhr nach Hamburg, wo es solche Schulen schon gab und legte schließlich einen Antrag beim Schulsenat auf die Einrichtung des Schulversuches für eine integrierte Haupt-Realschule vor. Dieser wurde genehmigt. Kernbestandteil des Konzeptes war, dass die Haupt-Realschülerinnen und -schüler zusammen eine Klasse besuchen. Ihr Status (Haupt- oder Realschüler/in) konnte sich je nach erbrachten Leistungen halbjährlich ändern. Die Stundentafel wurde so verändert, dass die Vorteile des alten Systems beibehalten werden konnten. Es wurde ein Wahlpflichtbereich eingeführt, den sonst nur die Berliner Realschulen hatten, um u. a. auch Französisch als zweite Sprache für alle Schüler in diesem Bereich anbieten können. Zentrale Prüfungen und die Pisa-Studie von 2003 zeigten, dass die leistungsstärkeren Schülerinnen und Schülern „sehr gut“ im Vergleich abschnitten, die anderen aber „nur gut“. Die Konsequenz daraus war, dass – bis auf Englisch in der 10. Klasse – keine äußere Leistungsdifferenzierung durchgeführt wurden und damit ein wichtiges Kriterium der Gemeinschaftsschulen schon vorher erfüllten. Das Sitzenbleiben wurde ebenfalls schon vor Gemeinschaftsschulzeiten abgeschafft. Die Ergebnisse insgesamt wurden besser. Im Vergleich zu Gesamt- oder Realschulen konnte eine deutlich niedrigere Zahl von Fehlzeiten festgestellt werden. Die Ergebnisse bei den mittleren Schulabschlüssen steigerten sich und die Zahl der Schülerinnen und Schülern ohne Hauptschulabschluss verringerte sich.
Die Heinrich-von-Stephan-Gemeinschaftsschule am Neuen Ufer
Seit 2008 nimmt unsere Schule an der „Pilotphase Gemeinschaftsschule“ teil, was u.a. auch bedeutet, dass die Schule wächst und durch Grund- und Oberstufe ergänzt wird. Dieses hat in der Perspektive zur Folge. dass ein größerer Raumbedarf entsteht. Deswegen hat die Heinrich-von-Stephan Schule ihren Standort in der Stephanstraße 2010 verlassen und ist im wahrsten Sinne des Wortes zu „neuen Ufern“ aufgebrochen. Seitdem ist sie am Standort Neues Ufer 6 zu finden.
„Auf dem dreieckigen Baublock zwischen der Uferstraße des Charlottenburger Verbindungskanals und der Wiebestraße errichtete die Stadt Charlottenburg 1911/12 die 29. und 30. Gemeindeschule. Als erste Schule in Martinickenfelde sollte sie den gewachsenen Bedarf abdecken, denn durch das Wachstum des Industriereviers und den Ausbau der benachbarten Mietshausviertel war die Einwohnerzahl beträchtlich angestiegen. Die Pläne entwarf der Stadtbaurat von Charlottenburg, Heinrich Seeling. Die U-förmige Schulanlage auf dem Grundstück Neues Ufer 5-8 und Wiebestraße 53-58 besteht aus einem breiten Mittelteil und zwei lang gestreckten Klassentrakten, die dem Verlauf der begleitenden Straßen folgen. Der Haupteingang an der Uferstraße wurde mit einem haubengedeckten Doppelportal hervorgehoben. An der Hofseite leitet ein mächtiger gerundeter Treppenturm vom Klassentrakt zum Mittelteil über. Bildhauer Hans Lehmann-Borges schuf große, an der Fassade angebrachte Figuren und Reliefs, die auf das Lernen in der Schule anspielen. So ist an der Ecke des Eingangsrisalits, ausgerichtet zum Neuen Ufer, unter einem Vordach eine Mutter zu sehen, die ihrer Tochter das Lesen beibringt. Die aufwendige Dekoration setzt sich im Inneren fort: Das großzügige Foyer ist durch Bogenfenster mit dem Hauptreppenhaus verbunden, während eine Wandnische, ausgekleidet mit Kiesel- und Mosaiksteinen, den Treppenaufgang schmückt. Die aus glasierten Fliesen bestehenden Wandbrunnen der oberen Stockwerke zeigen Märchenszenen (Rotkäppchen, Hans im Gück). Die ornamentale Ausmalung ist vom Jugendstil beeinflusst…“ (Quelle)
Inhaltlich hat einen entscheidenden Impuls zur Teilnahme an der „Pilotphase Gemeinschaftsschule“ die Mitgliedschaft im Arbeitskreis „Blick über den Zaun“ beigetragen. Im Zusammenhang mit der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises, den unsere Schule 2003 gemeinsam mit fünf anderen Schulen aus Deutschland erhielt, entstand der Kontakt zum damals noch aus fünfzehn Schulen bestehenden Arbeitskreis. Durch die regelmäßigen Treffen in reformpädagogisch orientierten Schulen, die zentralen Tagungen und die Schulbesuche des Arbeitskreises in unserer Schule, konnten entscheidende Impulse für die weitere Arbeit gegeben werden.
In den ersten Jahren der Pilotphase wurde an einem neuen Schulkonzept und an der Unterrichsentwicklung zunächst für die Mittelstufe, dann folgend für die Oberstufe intensiv in engagierten Teams gearbeitet. Zum Schuljahr 2013/14 konnte der erste Jahrgang der eigenen Oberstufe aufgenommen. Diese Schülerinnen und Schüler absolvierten im Frühjahr 2016 ihr Abitur an unserer Schule.
Seit 2014 wurde konzeptionell an der aufzubauenden Grundstufe gearbeitet und versucht, eine Grundschule in der Nachbarschaft zu gewinnen. Das scheiterte, da sich keine der in Frage kommenden Schulen auf das Konzept der Gemeinschaftsschule einlassen wollte. Somit wurde zum Jahresende 2015 enschieden, dass wir eine eigene Grundstufe aufbauen und dazu ein Erweiterungsbau gebaut werden soll. Im Sommer 2016 durften wir die ersten Erstklässler an der Heinrich-von-Stephan-Gemeinschaftsschule einschulen.
Auszeichnungen
- 2007: 3. Preis beim Landessiegerwettbewerb um den Hauptschulpreis
- 2003: 2. Preis des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI) und der IHK Berlin für die Kooperation zwischen Schulen und Betrieben (24. November 2003)
- 2003: Theodor-Heuss-Medaille für wegweisende pädagogische Konzepte und deren Umsetzung (Preisverleihung am 12. April 2003 in Stuttgart)
- 1998: Auszeichnung beim bundesweiten Wettbewerb „Demokratisch Handeln“ der Theodor-Heuss-Stiftung
- 1999: 4. Platz beim bundesweiten Wettbewerb „Hauptschule macht Schule“; Preisverleihung und Empfang beim Bundespräsidenten im Schloss Bellevue
- 1999: Auszeichnung als Berliner „Schwerpunktschule Praktischen Lernens“; Entgegennahme des Sonderpreises im Roten Rathaus
- 1999: Auszeichnung für die erfolgreiche Arbeit mit Jugendlichen verschiedener Nationalität durch die Berliner Ausländerbeauftragte
- 1998: Auszeichnung der Initiative „Kinder stark machen“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung